Termin für das nächste Symposion: 26. und 27. Juni 2025

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Rechtsfragen des Mobile Working“

Tagungsbericht zum 37. Passauer Arbeitsrechtssymposion am 20. + 21. Juni 2024

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist von zwei Megatrends geprägt: Globalisierung und Digitalisierung. Beide haben Auswirkung auf die Arbeitswelt. Grund genug, auch das überkommene Modell der Arbeit im Büro zu überdenken. Durch die Covid-19 Pandemie zwangsweise eingeführt, ist die Arbeit im Homeoffice heute kaum noch wegzudenken. Zeit- und Wegersparnis, Steigerung der Produktivität, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Möglichkeit zum Abmieten von Büroräumen in teuren Innenstadtlagen sind die wichtigsten Argumente. Zu Beginn der Pandemie war jedoch der rechtliche Rahmen für das Arbeiten außerhalb der betrieblichen Arbeitsstätte nur rudimentär abgesteckt, und auch vier Jahre danach sind viele Rechtsfragen offen. Diesen widmete sich das 37. Passauer Arbeitsrechtssymposion, das in diesem Jahr ganz dem Thema “Mobile Working” gewidmet war.
pas24_krausser Den Beginn machte Saskia Kraußer, Betriebsratsvorsitzende bei der Siemens AG in Erlangen und Mitglied des Konzernbetriebsrats des Unternehmens. Unter dem Titel: „Die einen in der Fabrik – die anderen Daheim“ fragte sie, ob das Homeoffice zu einer Spaltung der Belegschaft führe. Bei der Siemens AG stelle das Homeoffice das “new normal” dar. Neid und Missgunst von Beschäftigten, die weiterhin im Betrieb arbeiten mussten, hatte es laut Kraußer anfänglich in der Tat gegeben. Diese seien mittlerweile aber weitgehend überwunden. Denkbar erscheinen nach Ansicht von Kraußer Ausgleichszahlungen für diejenigen, denen aufgrund der Art ihrer Tätigkeit eine Arbeit im Homeoffice nicht ermöglicht werden könne. Hierbei bleibe allerdings fraglich, ob die neu gewonnene Flexibilität, die Arbeitnehmer im Homeoffice genössen, bei den weiterhin im Betrieb Beschäftigten nur mit einem höheren Entgelt ausgeglichen werden könne. Ein echtes „Zugpferd“ wäre für sie eine vier Tage Woche. Soweit sei man aber auch bei der Siemens AG noch nicht.
Sodann gab Prof. Dr. Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitspsychologie an der Universität Regensburg, in seinem Vortrag “Führung auf Distanz” einen Einblick in die Psychologie guter Leitung von Beschäftigten. Patentrezepte gebe es freilich nicht. Wichtig sei die Erkenntnis, dass durch die örtliche Trennung von Arbeitnehmern und Führungskräften die non verbale Kommunikation häufig zu kurz komme, insbesondere bei dauernden Videokonferenzen. Zudem sei die Aufmerksamkeitsspanne bei Meetings, die nicht in Präsenzform abgehalten würden, laut aktueller wissenschaftlicher Studien deutlich geringer. Deshalb empfiehlt Fischer, virtuelle Meetings lieber häufiger und dafür kürzer durchzuführen. Zudem sollte eine gewisse Anzahl an Besprechungen weiterhin in Präsenz abgehalten werden. Wichtig sie auch eine gesunde Feedbackkultur, um so eine Entfremdung der Mitarbeiter vom Betrieb zu verhindern. pas24_fischer
pas24_maschmann Im Folgenden beschäftigte sich Prof. Dr. Frank Maschmann, in Vertretung für den schwer erkrankten und mittlerweile leider verstorbenen Dr. Mario Eylert, Vors. Richter am Bundesarbeitsgericht a.D., unter der Überschrift: “Kontrollierte Autonomie im Homeoffice?” mit den Fragen zur Arbeitszeiterfassung und einem möglichen „Recht auf Unerreichbarkeit“ im Homeoffice. Maschmann wies darauf hin, dass an die Arbeitszeiterfassung im Homeoffice dieselben Maßstäbe wie bei der Zeiterfassung im Betrieb anzulegen seien. Seit den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache CCOO vom 14.5.2019 und der des BAG vom 13.9.2022 sei der Arbeitgeber zur Einrichtung eines objektiven und verlässlichen Systems verpflichtet, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden könne. Ob diesen Anforderungen im Homeoffice bereits durch Nutzung eines Tabellenkalkulationsprogramms, so wie es dem offenbar dem Gesetzgeber vorschwebe, genüge getan werde, hält Maschmann für zweifelhaft. Vielmehr müsse die Aufzeichnung sicher vor Manipulationen erfolgen. In diesem Rahmen würden Vorrichtungen diskutiert, mit denen mittels eines Transponders die Arbeitszeit an das Unternehmen übermittelt würde. Freilich wäre das im Ergebnis ein „Zurück zur Stechuhr“. Daran führe laut Maschmann aber nach den strengen Vorgaben des EuGH kein Weg vorbei. Im zweiten Teil des Vortrags ging der Referent auf ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ außerhalb der vertraglich versprochenen Arbeitszeit ein. Dieses existiere bereits in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU und werde derzeit auch vom Europäischen Parlament diskutiert. Ein solches scheint Maschmann vor dem Hintergrund der neuesten BAG-Rechtsprechung wichtiger denn je. Danach stellt eine SMS zur Mitteilung des Dienstbeginns und die erforderliche Kenntnisnahme des Arbeitnehmers außerhalb der Arbeitszeit keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG dar. Vielmehr handele es sich um eine die Hauptleistung sichernde Nebenpflicht, die der Arbeitnehmer auch in seiner Freizeit zu beachten habe. Ein Recht auf Nichterreichbarkeit gebe es nach BAG also derzeit nicht.
Anne Platte und Bettina Reineke von der Bertelsmann SE & Co. KG aA beschäftigten sich am zweiten Tag mit dem Thema: “Workation: Rechtsfragen des Homeoffice im Ausland”. Kann jeder Arbeitnehmer, dem die Arbeit aus dem Homeoffice gestattet ist, diese vorübergehend von überall auf der Welt erbringen? Diese Frage wirft zahllose Probleme auf: nicht nur hinsichtlich der Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts, sondern auch im Bereich des Aufenthaltsrechts, des Sozialversicherungsrechts und des internationalen Steuerrechts. Bei Ländern, die zum EWR gehören, sind die aufenthaltsrechtlichen Probleme gering. Viel schwieriger seien die steuerrechtlichen Herausforderungen, vor allem wenn durch die vorübergehende Tätigkeit im Ausland eine Betriebsstätte begründet würde, was zu diffizilen Folgefragen führe, die selbst durch die häufig anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen nur zum Teil geklärt werden könnten. Dies zu verhindern, bedürfe sorgfältiger Prüfung. Bei Bertelsmann habe man dazu eine eigene Legal Tech Software entwickelt, mit der sich die wichtigsten Fragen beantworten ließen. pas24_platte_u_reinke
pas24_raab Zur Regelung des “Ob” und des “Wie” einer Tätigkeit im Homeoffice bedarf es einer Absprache zwischen den Arbeitsvertragsparteien. So ist die Botschaft zu deuten, welche Prof. Dr. Thomas Raab von der Universität Trier mit seinem Vortrag “Gestaltung und Umgestaltung von Homeoffice-Vereinbarungen” zum Ausdruck brachte. Im Generellen herrscht in der Wissenschaft Konsens darüber, dass weder eine allgemeine Rechtspflicht noch ein Rechtsanspruch auf eine Arbeit im Homeoffice bestehe. Auch der Betriebsrat könne sie nicht erzwingen, selbst nach der 2021 neu geschaffenen Ziff. 14 im Katalog des § 87 BetrVG nicht. Deshalb sei bei der Regelung einer Tätigkeit im Homeoffice grundsätzlich auf Einvernehmen zu setzen. So könne das Homeoffice bereits im Arbeitsvertrag ausgestaltet werden oder erst im Nachgang in Form einer einvernehmlichen Vertragsänderung. Viele der zu treffenden Regelungen – wie zB. Arbeitszeit und Erreichbarkeit im Homeoffice – unterlägen aber der Mitbestimmung, weshalb sich laut Raab der Abschluss einer Betriebsvereinbarung empfehle, die der Betriebsrat sogar erzwingen könne. Ob das auch für Bestimmungen über die Tragung der Kosten des Homeoffice gelte, hielt der Referent allerdings für zweifelhaft.
Unter der Überschrift “Virtuelles Zutrittsrecht zum Homeoffice – Streik vom Sofa aus“ diskutierte sodann Prof. Dr. Wolfgang Däubler, von der Universität Bremen Gewerkschaftsrechte in der mobilen Arbeitswelt. Klassischerweise ist die Gewerkschaftsarbeit durch Besuche von Funktionären in den Betrieben, Aushänge an schwarzen Brettern und ähnlichen Vorgehensweisen geprägt. Allerdings befinden sich in Zeiten mobiler Arbeit immer weniger Arbeitnehmer im Betrieb, weshalb fraglich ist, wie die Gewerkschaften mit den Arbeitnehmern kommunizieren dürfen. Vor dem BAG wird momentan die Frage diskutiert, ob die Gewerkschaft die E-Mail Adressen aller im Betrieb Beschäftigen verlangen darf, um an sie gewerkschaftliche Werbe-Emails zu versenden. Das hatten die Vorinstanzen unter Verweis auf das Datenschutzrecht verneint. Däubler hält diese Entscheidungen vor dem Hintergrund der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG für bedenklich. Er wies darauf hin, dass die Gewerkschaftswerbung im Betrieb gerade nicht auf einen Kernbereich des für den Bestand der Koalition Unerlässlichen beschränkt sei. Allerdings hätten die Gewerkschaften auch noch andere Möglichkeiten zur Kommunikation. Eine Seite im Intranet des Unternehmens oder eine Verlinkung in diesem erschienen Däubler als weitere Alternativen. pas24_daeubler
pas24_kollmer Mit der Frage des Arbeits-und Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice beschäftigte sich Dr. Norbert Kollmer, Präsident des ZBFS aus Bayreuth und prominenter Bearbeiter einschlägiger Kommentare. Kollmer wies darauf hin, dass Beschäftigte, die im Homeoffice oder an einem anderen Ort außerhalb der Betriebsstätte arbeiten, gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter den Anwendungsbereich der Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung fielen. Der Teufel liege aber wie immer im Detail. So bestimme § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII, dass im Homeoffice der Versicherungsschutz in gleichem Umfang bestehen müsse wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte. Wie der Passus „in gleichem Umfang“ auszulegen sei, wäre bislang aber nicht höchstrichterlich geklärt. Eine enge Auslegung im Sinne einer absoluten Gleichstellung könne vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchaus problematisch sein. Dies zeige sich u.a. bei der Einbeziehung von Wegen, die in Privaträumen zurückgelegt würden, in den Versicherungsschutz (in dem jüngst vom BSG entschiedenen Fall vom Schlafzimmer in das Homeoffice). Hierfür komme es nach der Rechtsprechung maßgeblich auf die „objektivierte Handlungstendenz“ an, mit der die das Unfallgeschehen verursachende Tätigkeit verrichtet wurde. Dazu sei regelmäßig eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Auch Vorbereitungstätigkeiten – eben der Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice – könnten unter Versicherungsschutz stehen. Bei „gemischten Tätigkeiten“ (Telefonieren während einer Kaffeepause) komme es auf die Hauptmotivation des Arbeitnehmers an: Tätigwerden für den Arbeitgeber oder für eigene Belange.
Auch die Arbeit des Betriebsrats hat sich in den vergangenen Jahren verändert, womit sich zum Abschluss des Symposions RA Dr. Knut Müller aus München beschäftigte. Der Betriebsrat kann nach § 30 Abs. 2 BetrVG seine Betriebsratssitzungen auch virtuell mittels Video- oder Telefonkonferenz durchführen. Die Voraussetzungen hierfür sind in einer Geschäftsordnung zu regeln, bei der der Vorrang der Präsenzsitzung zu sichern ist. Wie dies geschehen kann, ist laut Müller aber unklar. Digitale Betriebsratssitzungen könnten unzulässig sein, wenn die Mitglieder des Betriebsrats ihr widersprächen. Offen sei, ob wirklich jeder Verstoß gegen die Vorgaben des § 30 Abs. 2 BetrVG zur Unwirksamkeit von Beschlüssen führe. Jedenfalls habe der Arbeitgeber dem Betriebsrat die technischen Mittel für derartige digitale Sitzungen zur Verfügung zu stellen. Einen Anspruch darauf, dass der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat seine Sitzungen digital durchzuführen habe, um Kosten für das Unternehmen zu sparen, habe er allerdings nicht. pas24_mueller
Insgesamt erwies der Kongress, dass sich die arbeitsrechtlichen Regelungen, die für die Tätigkeit im Betrieb entwickelt wurden, nicht ohne weiteres auf die Arbeit im Homeoffice übertragen lassen, sondern oft ganz neue Lösungen gefunden werden müssen. Für diese Impulse und wertvolle Anregungen zu geben, war Aufgabe des Symposions, die den Veranstaltern der Wolfgang-Hromadka-Stiftung und des Lehrstuhls von Prof. Frank Maschmann nach einhelliger Ansicht der über 150 vor Ort in Passau anwesenden Teilnehmern wieder erfolgreich gelungen ist. Ihnen werden auch für das 38. Passauer Arbeitsrechtssymposion, das am 26. und 27. Juni 2025 stattfinden soll, nicht die Themen ausgehen. Die Referate der diesjährigen Tagung werden wieder in einer Beilage der NZA veröffentlicht.
Henk Lohrberg, Clemens Stockmeier, Michael Ebertseder
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Referenten (v.l.n.r.): Dr. Fritz, Dr. Holler, Maschmann, Dr. Große Vorholt, Dr. Rupp