Termin für das nächste Symposion: 18. und 19. Juni 2026

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Gerechter Lohn – aber wie?

Tagungsbericht zum 38. Passauer Arbeitsrechtssymposion am 26. + 27. Juni 2025

Angemessen, motivierend und flexibel soll die Vergütung sein, den Beschäftigten eine sichere Existenzgrundlage bieten und sie so lange wie möglich an das Unternehmen binden. Allerdings zwingt das immer dichter werdende Rankenwerk des Arbeitsrechts die formal freie Entgeltgestaltung in ein enges Korsett. Den überaus heiklen Rechtsfragen nahm sich das diesjährige Passauer Arbeitsrechtssymposion an. Zwei Tage lang diskutierten die über 100 Fachleute aus Unternehmen und Verbänden unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann mit Vertretern der Arbeitsgerichte, der Anwaltschaft und der Arbeitsrechtswissenschaft die aktuellen Entwicklungen vor dem Hintergrund von Krieg und Wirtschaftskrise.
pas25_goepfert Den Anfang machte RA Dr. Burkhard Göpfert, Partner bei Kliemt Arbeitsrecht München, mit seinem Vortrag zur Vergütung von AT-Angestellten. Diese befänden sich in einer etwas sonderbaren „Sandwichlage“: nicht mehr unter den Tarifvertrag fallend, aber noch nicht zum erlauchten Kreis der Leitenden gehörend. Ihre Zahl werde von Jahr zu Jahr größer. Daher führe kein Weg an kollektiven Vergütungsregelungen vorbei. Der Referent empfahl hier die Einführung von Gehaltsbändern, bei deren Ausgestaltung der örtliche Betriebsrat aber mitzubestimmen habe, was zu uneinheitlichen Vergütungsstrukturen innerhalb des gleichen Unternehmens führen könne. Versuchen einzelner Gewerkschaften, Tarifregelungen auch für „AT-ler“ zu schaffen, erklärte Göpfert eine klare Absage. Schwierig sei aber nach wie vor die rechtssichere Abgrenzung zu den tariflich geführten Mitarbeitern.
RA Prof. Dr. Georg Annuß, LL.M., Of Counsel bei Pusch Wahling Workplace Law ging in seinem anschließenden Vortrag „Zwischen Ehrenamt und Co-Management“ auf das Problem der richtigen Vergütung für freigestellte Betriebsräte nach der BetrVG-Novelle ein. Eindrucksvoll legte er dar, unter welchen Voraussetzungen die Vergütung eines Betriebsrates erhöht werden könne. Dies erfordere eine tatsächliche Beförderung des entsprechenden Mitgliedes oder zumindest ein Beförderungsangebot. Liege ein solches vor, könne eine über die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer hinausgehende Vergütungsentwicklung des individuellen Betriebsratsmitglieds nicht als Bevorzugung des Betriebsrates gewertet werden. Fehle es daran, müsse die Vergleichsgruppe ordnungsgemäß gebildet werden. Wenn dies sachgerecht geschehe, könnten die Gerichte nur noch prüfen, ob die Betriebsratsvergütung grob fehlerhaft sei. Die BetrVG-Novelle leiste hierfür aber nur einen bescheidenen Beitrag. pas25_annuss
pas25_herresthal Ob Unternehmen künftig dafür haften, wenn deren Zulieferer ihren im Ausland beschäftigten Mitarbeitern den Mindestlohn verweigern, untersuchte Prof. Dr. Carsten Herresthal, LL.M. von der Universität Regensburg. Nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sei das kaum vorstellbar, weil es die Haftung gegenüber Arbeitnehmern der Zulieferer ausdrücklich ausschließe und deliktische Ansprüche häufig daran scheiterten, dass das LkSG keine drittschützenden Verkehrspflichten enthalte. Das würde sich aber mit dem Lieferkettengesetz der EU nun ändern. Denn dieses sehe in Art. 29 eine eigene Anspruchsgrundlage für die ausgebeuteten Mitarbeiter vor, die auch vor deutschen Gerichten klagen könnten und sogar hiesige Gewerkschaften mit der Geltendmachung ihrer Rechte in Prozessstandschaft beauftragen dürfen. Ob es dazu kommt, sei aber fraglich, weil der Ministerrat der EU am 23. Juni 2025 ein „Omnibus“-Memorandum verabschiedet habe, das wegen der schwächelnden Wirtschaft wesentliche Einschränkungen der CSDDD vorsieht.
Dr. Regine Winter, ehemalige Richterin am Bundesarbeitsgericht, widmete sich unter dem Titel „Entgeltgleichheit durch Entgelttransparenz“ der Frage, wie die unionsrechtlichen Vorgaben zur Lohngleichheit wirksam umgesetzt werden können, denn mit dem Anspruch auf gleiches Entgelt für Mann und Frau stehe es nicht zum Besten. Nach der EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis Juni nächsten Jahres umzusetzen sei, müssten Entgeltstrukturen auf geschlechtsneutralen Kriterien beruhen – wie Kompetenz, Verantwortung oder Arbeitsbedingungen. Gerade unklare Merkmale öffneten bislang Tür und Tor für Geschlechterstereotype. Auch tarifliche Regelungen müssten einer Überprüfung standhalten – eine generelle Ausnahme, wie sie in Deutschland teils erwogen werde, sei unionsrechtlich unzulässig. Weitere Instrumente wie die Berichtspflicht und die gemeinsame Entgeltbewertung sollen künftig für mehr Transparenz sorgen. Winter riet Arbeitgeber und Tarifparteien dringend, sich bereits jetzt auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. pas25_winter
pas25_reinfelder Waldemar Reinfelder, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, beantwortete sodann zentrale Rechtsfragen bei der flexiblen Gestaltung von Sondervergütungen. Freiwilligkeitsvorbehalte seien nach wie vor möglich, nicht zuletzt um betriebliche Übungen zu verhindern. Ein pauschaler Hinweis auf die Freiwilligkeit, versteckt in den AGB des Arbeitsvertrags, genüge jedoch nicht. Erforderlich sei ein verständlich formulierter Vorbehalt, der bei jeder Leistung erneut erklärt werden müsse. Eine interessante Alternative seien „Ermessenleistungen“, bei denen sich der Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Höhe einer Sondervergütung vorbehalte. Die Ausübung dieses Ermessens unterliege aber der gerichtlichen Kontrolle auf Billigkeit. Die Zahlung von Boni könne an die Erfüllung von Zielvorgaben oder Zielvereinbarungen gebunden werden. Unzulässig sei es aber, Ziele einseitig vorzugeben, wenn zuvor eine einvernehmliche Bestimmung vereinbart wurde. Dann bliebe es bei der Zielvereinbarung aus dem letzten Jahr.
Prof. Dr. Stefan Greiner von der Universität Bonn beschäftigte sich mit den rechtlichen Grauzonen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Im Mittelpunkt stand der „Blackbox“-Charakter von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB): Der Grund der Krankschreibung sei für den Arbeitgeber nicht erkennbar – das mache das Instrument anfällig für Missbrauch. Das gelte um so mehr, als neuerdings nicht einmal mehr der Name des behandelnden Arztes mitgeteilt werde. Jüngst hätten sich Mitarbeiter Krankschreibungen bei einem „Doc Holiday“ für wenig Geld auf einem Online-Portal bestellt. Einen Weg aus diesem Dilemma sieht Greiner in mehr Transparenz. Um dem Erkrankten einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuweisen zu können, müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer fragen dürfen, welche Beschäftigung ihm noch möglich sei. Das sei heute aber unter Hinweis auf den Datenschutz nicht erlaubt. Dann bliebe nur, den Beweiswert der AUB zu erschüttern, der jedoch als wichtigstes Beweismittel des Arbeitnehmers ein hoher Stellenwert zukomme. Hier habe allerdings das BAG in jüngster Zeit seine Rechtsprechung etwas zu Gunsten der Arbeitgeberseite korrigiert. Zweifelhaft seien z.B. Krankschreibungen bei Gekündigten exakt für die Dauer der Kündigungsfrist. pas25_greiner
pas25_holthausen RA Dr. Joachim Holthausen aus Köln ging der Frage nach, wie durch den gezielten Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Vergütung leistungsgerechter werden kann. Das erläuterte der Referent eindrucksvoll anhand zahlreicher praktischer Beispiele. Zur Gewinnung valider Ergebnisse bedürfe es exakter Daten. Im rechtlichen Kontext seien neben den nationalen Vorschriften zum Datenschutz, den Diskriminierungsverboten und Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats die Vorgaben der KI-Verordnung, zu beachten. Holthausen betonte, dass ein verantwortungsvoller Einsatz der KI bei der Entgeltfindung eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Akteure erfordere.
Zum Abschluss präsentierte Dr. Uwe Schirmer, ehemals Direktor für Personalgrundsatzfragen bei der Robert Bosch GmbH, praxisnahe Beispiele für nicht monetäre Leistungsanreize, die im „War for Talents“ immer wichtiger würden. Sie müssten auf die verschiedenen Lebensphasen der Beschäftigten zugeschnitten werden: Kinderbetreuung für die Jüngeren, Gesundheits- und Vorsorgeleistungen für die Älteren. Die verschiedenen „Benefits“ bedürften einer kontinuierlichen Anpassung. Manche finanzielle Wohltat müsste vor dem Hintergrund der bereits hohen Kostenstrukturen des Wirtschaftsstandorts Deutschland überprüft werden. Persönliche Wertschätzung sei für die Bindung der Beschäftigten häufig wichtiger und komme auch noch günstiger. Für eine erfolgreiche Beziehung zwischen Unternehmen und Beschäftigten sei das stimmige Gesamtpaket aus Rahmenbedingungen, Leistungen und Unternehmenskultur entscheidend. pas25_schirmer
Entspannung fanden die Gäste des Symposions bei einem großartigen Konzert im Dom St. Stephan und dem anschließenden Empfang im Museum Moderner Kunst, der auch Gelegenheit zum persönlichen Austausch bot. Die Anwesenden waren sich einig: Auch zum 39. Arbeitsrechtssymposion werden sie wieder in die Drei-Flüsse-Stadt kommen.
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Referenten (v.l.n.r.): Prof. Maschmann, Prof. Annuß, Prof. Holthausen, Dr. Winter, W. Reinfelder, Dr. Schirmer, Prof. Greiner