Programm 2023
Thema des Kongresses: »Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht im Dialog«
Hinweis: Den Flyer zum 36. Passauer Arbeitsrechtssymposion 2023 können Sie hier abrufen.
Donnerstag, 15. Juni 2023
14.00 Uhr |
Begrüßung
Prof. Dr. Frank Maschmann, Universität Regensburg |
14.15 Uhr |
Für wen gilt das Arbeitsrecht der EU?
Prof. Dr. Adam Sagan, MJur (Oxon), Universität Bayreuth |
15.15 Uhr |
Homeoffice im EU-Ausland
Prof. Dr. Christian Reiter und Dr. Eva Thielemann, Daimler Truck AG, Leinfelden-Echterdingen |
16.15 Uhr |
Pause |
16.45 Uhr |
Arbeitgeberverantwortung in der Lieferkette
Prof. Dr. Carsten Herresthal, Universität Regensburg |
19.30 Uhr |
Domkonzert |
20.30 Uhr |
Empfang im Museum Moderner Kunst
Verleihung des Wissenschafts- und des Praktikerpreises 2022 der Stiftung „Theorie und Praxis des Arbeitsrechts“ |
Freitag, 16. Juni 2023
09.00 Uhr |
Zurück zur Stechuhr? Arbeitszeitrecht vor Europäischen Herausforderungen
Prof. Dr. Martin Franzen, Ludwig-Maximilians-Universität München |
10.00 Uhr |
Pause |
10.30 Uhr |
EuGH, BVerfG und BAG im Dialog
Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Erfurt |
11.30 Uhr |
Die Auswirkungen der EMRK im Arbeitsrecht
Sascha Pessinger, Richter am Bundesarbeitsgericht, Erfurt |
12.30 Uhr |
Mittagsimbiss im Foyer des Redoutensaals |
13.30 Uhr |
Aktuelle Tendenzen im Beschäftigtendatenschutz der EU
Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz Baden-Württemberg a.D. |
14.30 Uhr |
Bietet das Unionsrecht Wege aus der Unternehmensmitbestimmung?
Dr. Patrick Mückl, Kanzlei Noerr, Düsseldorf |
Tagungsbericht 2023
Homeoffice im Tessin?
Klimawandel, Krieg und Corona-Nachwirkungen: Krisen bestimmen das Weltgeschehen. Die Lösung: Eine starke Europäische Union. Gemeinsames Handeln erfordert allerdings einheitlich geltende Regelungen. Das gilt auch für das Arbeitsrecht. Hier hat die Union Dutzende Richtlinien erlassen, über die der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet, im Arbeitsrecht sind es über 300. Selbst Experten blicken kaum noch durch. Grund genug, sich der Wechselwirkungen zwischen deutschem und europäischem Recht anzunehmen. Über 100 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis diskutierten sie auf dem diesjährigen Passauer Arbeitsrechtssymposion, das wieder unter der bewährten Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann, Universität Regensburg, stand. Dabei packten sie auch heiße Eisen an. |
|
Seit der Corona-Pandemie gehört für viele die Arbeit im Homeoffice zum Standard. Manch einer hat sich dabei auch die Frage gestellt: Warum nicht gleich vom Ferienhaus im Tessin aus? Mit Blick auf den Lago Maggiore arbeitet es sich gleich viel besser. Während die Technik scheinbar keine Grenzen kennt, zeigten Dr. Christian Reiter und Dr. Eva Thielemann von der Daimler Truck AG, welche rechtlichen Fallen lauern. Arbeitet man nicht mehr nur vorübergehend vom Ausland aus, kann nämlich auch ausländisches Recht anwendbar sein. Das kann beispielsweise zur Anwendung anderer Arbeitsschutzbestimmungen führen, die mitunter deutlich schlechter als in Deutschland sind. So gibt es in der Schweiz keinen allgemeinen Kündigungsschutz. Außerdem kann es dazu kommen, dass Sozialversicherungsbeiträge ans Ausland abgeführt werden müssen. Hier helfen nur klare Vereinbarungen, die die Arbeit im Ausland zeitlich auf wenige Tage im Jahr beschränken. |
Bußgelder in Millionenhöhe haben Unternehmen zu erwarten, wenn sie gegen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verstoßen, wie Amazon und Ikea kürzlich feststellen mussten. Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern – ab dem 1.1. 2024 mit mehr als 1.000 – müssen nach dem LkSG gewährleisten, dass sie selbst und ihre gesamten Zulieferer nicht gegen Menschenrechte verstoßen oder die Umwelt verschmutzen. Prof. Dr. Carsten Herresthal von der Universität Regensburg wies darauf hin, dass die Unternehmen Verantwortliche benennen müssen, die sich mit der Risikoanalyse und Kontrolle der Zulieferer befassen. Das ist für diese Personen nicht ungefährlich, da sie für die ordnungsgemäße Durchführung des LkSG persönlich haften. |
|
|
Schon seit langem auf dem Rückzug und für die digitale Arbeitswelt vollkommen überholt ist die Stechuhr. Nun machen sich aber Experten Sorgen, dass sie eine neue Blüte erlebt. Grund dafür ist ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem letzten Jahr, in dem die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bekräftigt wurde. Schon 2019 hatte der EuGH den Mitgliedstaaten aufgegeben, den Arbeitgebern die Nutzung eines objektiv zugänglichen und verlässlichen Systems zur Arbeitszeiterfassung vorzuschreiben. Das Bundesarbeitsministerium hat mittlerweile einen Referentenentwurf veröffentlicht, der aber viele Fragen offenlässt. Anlass zur Panik für Arbeitgeber gibt es laut Prof. Dr. Martin Franzen von der Ludwig-Maximilians-Universität München aber nicht. Das Urteil des BAG wirke zunächst nur zwischen Kläger und Beklagtem. Außerdem seien Verstöße gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht nicht einmal Ordnungswidrigkeiten und wirkten sich nicht auf die Bezahlung der Arbeitnehmer aus. |
Viele Entwicklungen im Arbeitsrecht haben in Europa ihren Ursprung. Umso wichtiger erscheint Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, das Zusammenspiel der obersten Gerichte, also von BAG, EuGH und Bundesverfassungsgericht. In ihrem Vortrag sprach sich die Präsidentin für einen kritischen fachlichen Diskurs aus, in dem auch Zuspitzungen erlaubt sein müssten, das gelte insbesondere für die Resonanz zum „Stechuhr“-Urteil. Das beste Argument solle sich durchsetzen. Allerdings sei es nicht leicht, es allen Mitgliedstaaten immer recht zu machen. |
|
|
Was haben das Streikverbot für Beamte, Whistleblowing, das Kopftuchverbot und Überwachung am Arbeitsplatz gemeinsam? Zu all diesen Themen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Entscheidungen gefällt. Dazu kam es, weil die Europäische Menschenrechtskonvention ähnlich wie das Grundgesetz gewisse Rechte jedem Bürger eines Staates, der die Konvention umgesetzt hat, garantiert. Dazu zählen unter anderem die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Religionsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre. Sascha Pessinger, Richter am BAG, erwartet daher noch weitere Grundsatzurteile zu diesen und anderen Themen. |
Datenschutz ist ein Thema, das vielen als lästig erscheint. Wie man als Arbeitnehmer aus dem Datenschutz Kapital schlagen kann, zeigte Dr. Stefan Brink, ehemaliger Landesdatenschutzbeauftragter von Baden-Württemberg. Nach neuester Rechtsprechung des EuGH muss der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zunächst Auskunft über die gespeicherten personenbezogenen Daten einholen. Ist die erteilte Auskunft unvollständig oder verspätet, kann der Arbeitnehmer – unter Nachweis eines (auch nur psychischen) Schadens – Schadensersatz in Höhe von 1.000 € bis 2.000 € verlangen. Immer beliebter werde die Geltendmachung dieses Anspruchs im Zuge von Verhandlungen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Rechtsmissbräuchlich sei das nicht. Dem Arbeitgeber bleibe nur, Beschäftigtendaten stets so schnell wie möglich zu löschen. |
|
|
Deutschland hat ein Bürokratieproblem, das sehen gerade viele Mittelständler so. Beschäftigt ihr Unternehmen mehr als 500 Arbeitnehmer, droht die drittelparitätische Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat. Um diese zu vermeiden, kann sich die Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft („SE“) empfehlen. Was dazu erforderlich ist, zeigte Dr. Patrick Mückl, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Noerr in Düsseldorf. Nur deshalb eine SE zu gründen, wie es viele deutsche DAX-Unternehmen mittlerweile getan haben (wie zB Allianz, SAP, MAN), empfiehlt sich allerdings nicht. Die Folge können nicht unerhebliche steuerrechtliche Probleme sein. |
Abgerundet wurde das zweitägige Programm durch ein Kammermusikkonzert im Stephansdom und einen Empfang im Museum Moderner Kunst. Hier wurden zwei Preise der Wolfgang-Hromadka-Stiftung zu je 3.000 € verliehen. Den Wissenschaftspreis erhielt Dr. Marcel Holthusen, Universität Osnabrück, für seine Dissertation zum Thema „Das Prognoseprinzip im vertraglichen Dauerschuldverhältnis“. Den Praktikerpreis, der von Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie gestiftet wurde, erhielt die Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG für das Projekt „FACHKRÄFTEGEWINNUNG – FACHKRÄFTESICHERUNG“. Alle Beteiligten waren glücklich, dass das Symposion, das zweimal digital durchgeführt werden musste, endlich wieder in präsenter Form stattfinden konnte, und freuen sich schon auf die Tagung im nächsten Jahr. |